Kreativität nach Noten

Die Situation, ungeschminkt betrachtet:

Von Musikpädagogen wird erwartet, dass sie Bühnenerfahrung haben und exzellent unterrichten, dass sie die Schüler begeistern und dass sie stillhalten, wenn Kürzungen ihres Gehalts oder Honorars vorgenommen werden oder wenn administrative Aufgaben derart zunehmen, dass darunter das pädagogische Kerngeschäft und der Mensch zu leiden beginnen.

Von Musikpädagogen wird erwartet, dass sie kein elitäres Bewusstsein wecken und sich für den schwächsten Schüler genauso intensiv einsetzen wie für den begabtesten.

Von Musikpädagogen wird erwartet, dass sie den Grundstein
für die Karriere musikbegabter Kinder legen, Wettbewerbe vorbereiten und im Rahmen von "Jugend musiziert" und "Schweizerischer Jugendmusikwettbewerb" durchführen.

In der Jugendmusikschule sollen die Schüler Freude an der Musik gewinnen und liebevoll in die "Grammatik" der Musik (Notenlesen etc.) eingewiesen werden; sie sollen lernen, dass Musik etwas mit Üben (=Disziplin) zu tun hat und dass der musikalische Rhythmus etwas mit Lebensrhythmen und mit der Feinmotorik des ganzen Körpers gemein hat.

Schon die jungen Musikschüler, erst recht aber die fortgeschrittenen Schüler und Musikstudenten sollen Spass am Vorspielen haben und dem Publikum zeigen, was sie können. Darum werden Vorspielabende und Musikwettbewerbe im grossen und im kleinen Stil angeboten. Doch das "Vorspiel" ist oft einer der grössten Stressfaktoren, der weder mit Willenskraft noch mit freundlichen Worten aufzulösen ist.

Gerade in der Jugendmusikschule trifft das hohe Ideal der Musikförderung mit häufigen Problemen von Kindern und Jugendlichen zusammen: Konzentrationsschwäche, mangelnde Körper-Geist-Integration, starke Homolateralität (wörtlich: Gleichseitigkeit; meint hier die geringe oder fehlende Fähigkeit zu Überkreuzbewegungen), Stressanfälligkeit, Nervosität, Dyslexie und so weiter.

An der Musikhochschule zerfällt das Musikstudium in viele Einzelfächer und Einzellehrer. Es gibt kaum Vernetzung; das Studium ist eher additiv, analytisch, aufgesplittert, jedenfalls nicht ganzheitlich orientiert; es spricht überwiegend die linke Gehirnhälfte an.

Musikstudenten werden auf Leistung getrimmt, aber nicht ganzheitlich auf die Bühne vorbereitet. Es wird ein Solisten- und Ellenbogenbewusstsein gefördert, aber kein Ensemblebewusstsein.

Hochschullehrer werden an erster Stelle wegen ihres künstlerischen Renommees engagiert, nicht wegen der pädagogischen Fähigkeit, den Menschen im Künstler zu bilden. So kann ein Musiker unschwer mehrere Professuren annehmen.

Viele Hochschullehrer "vererben" ihre eigenen Probleme wie Lampenfieber, Perfektionszwang und Angst vor Versagen an ihre Studenten weiter. Stressbewältigung wird als Privatsache angesehen. Daraus folgt:

Der Umgang mit Betablockern, Psychopharmaka, Alkohol oder anderen Stimulantien wird für viele Musiker schon im Studium zur Selbstverständlichkeit, ehe sie überhaupt die Chance haben, etwas über Bühnenenergetik und Bühnengesetze zu erfahren, das heisst über die Dynamik der Energien, die zwischen den Künstlern auf der Bühne und im Publikum wirksam werden.

Die in vielen Musikhochschulen angebotenen Kurse über Autogenes Training, Yoga, Feldenkrais oder Musik-Kinesiologie werden als freiwillige Anhängsel an das Fächerstudium angesehen. Leistungsdenken und Perfektionismus rangieren eindeutig vor kreativer Stressbewältigung.

Meine Schlussfolgerung:

Diese unbefriedigende Situation muss und kann geändert werden!
Also packen wir's an!
Es gibt in der Musik-Kinesiologie kreative Möglichkeiten, die Frustration und damit auch den Stress im Musiklehrerberuf in positive Energiepotentiale zu verwandeln. Einige davon möchte ich im Folgenden vorstellen.

Ich habe das Büchlein so aufgebaut, dass zunächst die Pädagogen selbst im Zentrum der Betrachtung stehen und dann die kleinen und grossen Schüler. Übungen, die zum Teil schon in unserem Buch Musik-Kinesiologie erwähnt werden, aber auch viele neue Übungen dienen dazu, den Musikunterricht farbig zu gestalten und sowohl Musikpädagogen wie Schüler zu motivieren. Weniger Routine, dafür mehr Abenteuerlust und mutiges Überschreiten von Grenzen beim Üben und Vorspielen sollen auf dem Programm stehen.

Mein Fokus richtet sich auf die positiven Potentiale des Musik-pädagogen, da ich höchste Achtung vor seiner Leistung habe, im Kind bereits das Künstlerische zu wecken. Um im Bild zu bleiben: Ich bevorzuge keinen schrillen Wecker, kein Marktgeschrei der steilen Karrieren, sondern sanfte Wecker, die Pädagogen wie Schülern und Studenten erlauben, immer ihrer momentanen Lebenssituation adäquat zu wachsen.

Selbstverständlich gehört zum Wachsen die innere und äussere Herausforderung.
Um Grenzen zu überschreiten, braucht man Mut und Willenskraft, Und darum geht es in der Musik-Kinesiologie für Lehrende und Lernende.

Hier der genaue Titel des Buches:
Kreativität nach Noten
Ideen für den professionellen Musikunterricht
von Dr. Rosina Sonnenschmidt.
VAK-Verlag ISBN 3-932098-35-8